Dienstag, 27. September 2011

Angstfrei

Das Bild, das sie mit ihren Worten formt, knackt in mir irgendetwas auf, auf das ich schon gar nicht mehr gehofft hatte. Das sind sie! Worte, die von mir sein könnten. Genau wie sie sie sagt. Als hätte sie mir in den Kopf gegriffen.
Tief in mir freut sich etwas extrem.

Es gibt sie also doch! Menschen, Frauen in meinem Alter, die zu solchen Gedanken fähig sind, die sie kreativ formulieren können.
Menschenhass in seiner reinsten Form. Verachtung und Arroganz.
Es ist als würde ich mir selbst beim Reden zuhören.

„Wenn ich schon alleine in diese teigigen, dicken Gesichter sehe, mit diesen roten Wangen und den Bartstoppeln.“ Kurz parodiert sie darauf die Art schlechte Witze zu machen, die diese Jungs, über die sie spricht, perfektioniert haben. Es gibt wohl auch negative Perfektion.

Ihre Worte überschlagen sich in meinem Kopf immer und immer wieder. Purzelbäume an Wortfetzen, die ich nicht vergessen kann.
Sie spuckt Wahrheit aus. Wie aus einem Brunnen sprudelt sie aus ihrem Mund und könnte an Reinheit und Echtheit nicht übertroffen werden.
Ich kann meiner Begeisterung nicht ansatzweise genug Ausdruck verleihen. Beinahe ist es Bewunderung.
Sie schämt sich nicht diese Worte zu sagen, überhaupt nicht. Aber sie sagt sie auch nicht, weil sie cool klingen. Sie sagt sie, weil sie genau in diesem Moment das denkt. Und das ehrt sie sogar noch mehr als die Tatsache, dass sie diese Gedanken überhaupt entwickeln kann.

Ihr mittelstarker Berliner Dialekt schwingt in diesen Verbalsalven nicht nur mit, sondern schießt sie so spitzzüngig raus, dass das ihre Lippen sich aufzulösen scheinen.
Dabei schaut mich ihr großes Paar blaue Augen so begeistert an, dass man denken könnte, sie redet über ihren Lieblingsfilm oder ihren neuen Freund.

Die Luft, die ich vor meinem Beitrag zu diesem Thema einatme fühlt sich frisch und leer an.
Angriff!
Es ist als würde es unter meiner Haut brennen. Ein Lauffeuer, das schnell meinen ganzen Körper überrennt und das Fleisch von seinem Mantel zu trennen scheint.

Ich – bin – plötzlich – hellwach!

Jetzt oder nie.
Normalerweise würde ich so fremden Menschen nicht direkt meine dunkelsten Gedankenecken preisgeben. Aber ich werde womöglich niemals wieder jemanden finden, der mir im Kopf so ähnlich ist. Also stippe ich nicht kurz mit dem kleinen Zeh ins Wasser – ich springe mit einem großen Klatschen rein!
Dinge, die sonst von mir noch nie ausgesprochen, immer nur niedergeschrieben, wurden, fliehen in die Wirklichkeit und formulieren sich wie von selbst. Fast wird mir schwindelig von dem Maß an Wahrheit, das da ans Tageslicht kommt.
Und wenig später werde ich in Form des Satzes „Ich würd das normalerweise nicht so sagen, aber ich weiß, dass du es verstehst.“, belohnt.
Belohnt für Dinge, die die meisten Menschen niemals verstehen, geschweige denn wertschätzen würden.

Ein surreales Erlebnis.

Einen Moment lang war ich langer Zeit mal wieder komplett angstfrei.

Freitag, 23. September 2011

Wasserhahn

Es gibt Momente, die sind wie ein tropfender Wasserhahn. Unausweichlich.

Tap!
Tap!
Tap!

Man kommt nicht aus seiner Blase heraus. Das Geräusch des Wasserhahns klingt dumpf hinein und wird unerträglich laut.

Tap!
Tap!
Tap!

Diese Momente wären der Inbegriff von Langeweile, wenn sie nicht so unerträglich wären.
Man hat das Gefühl, dass irgendwo im Körper eine Flüssigkeit durch ganz viele, dünne Äderchen schießt. Und als ob das Hirn pocht und sich in naher Zeit durch die Augenhöhlen seinen Weg ins Freie suchen wird.
Wenn man sich mal von diesem Moment mitreißen lässt, ist es fast wie der Anfang einer Panikattacke oder eines Asthmaanfalls.
Aber das tut man nicht. Weil diese Moment immer dann vorkommen, wenn man gerade beobachtet wird oder aufmerksam sein sollte. In der Schule oder in der Bahn, kurz vor der Station, an der man aussteigen muss. Immer unter Menschen natürlich.
Warum sollte man sich sonst beklemmt fühlen, wenn nicht wegen Menschen?
Nicht einmal nur in der Öffentlichkeit, auch zuhause.
Wenn ich mal aus meinem Bett nach rechts blicke, ist da auf meinem Nachttisch direkt ein riesiges Foto zweier meiner Freundinnen. Von meiner Tür schauen mich Steve Naghavi, Andrew Eldritch, ein Model, Andy LaPlegua und die Herren von Hurts an. Weiter geht es auf meiner Kommode neben der Haustür. Gleich zwei Bilderrahmen mit mehreren Fotos meiner besten Freundinnen.
Wahrscheinlich ist es ganz normal, sich mit Bildern zu umgeben, die an gute Erinnerungen gekoppelt sind. Und vielleicht bin ich mit diesem Gefühl alleine, aber manchmal habe ich das Gefühl, diese Gesichter starren mich an. Und dann wieder das Tropfen.

Tap!
Tap!
Tap!

Als würde es in meinem Kopf tropfen und die Flüssigkeit irgendwo in mir sanfte Wellen schlagen.

Ich schließe die Augen einige Sekunden und öffne sie dann ganz weit. Das ist die einzige Möglichkeit aus diesem Alltags-Albtraum aufzuwachen. Manchmal fühle ich mich danach sogar etwas schwindelig. Verwirrt sowieso immer.
Dann frage ich mich oft, ob das Ganze wirklich Realität gewesen ist, oder ich für einen kurzen Moment weggenickt bin. Und ich komme eigentlich immer erst dann zu der Erkenntnis, dass diese Momente echt sind, wenn ich wieder in einen von ihnen hineingerate.

Tap!
Tap!
Tap!

Was da wohl ein Leck hat?

Samstag, 10. September 2011

Helsinki!
Wenn ich die Augen schließe und ganz tief einatme, kann ich mich noch an das Gefühl erinnern, in dieser Stadt gewesen zu sein.
Ich brauchte eine lange Zeit, den Schaden loszuwerden, den sie mir angetan hat. Und eine noch längere Zeit, um wieder die ganze Schönheit ihrer zu sehen.
Wenn ich an Helsinki denke, kommt mir merkwürdigerweise immer zuerst die Straße zwischen dem Vorplatz vom Kamppi und dem Sokos in den Kopf. Auch wenn sie weder für mich, noch für die Stadt eine große Bedeutung hat.
Dann kommt eine Flut von Bildern. Der Seiteneingang vom Kamppi, der auf die Straße zum Tavastia führt. Der Bahnhof mit diesen riesigen Figuren darauf. Das PRKL, die Bar, die meine damals beste Freundin und ich regelmäßig besuchten. Ruolahti!
Riesige Schneeberge überall in der Stadt. Wasser und Matsch auf den Straßen. Laternen, die um 15 Uhr bereits an sein müssen, weil der Himmel so grau ist.
Das Gefühl von -15 Grad auf nackter Haut, weil man grad erst seine Handschuhe anzieht.
Der Schreck, wenn mal wieder eine Straßenbahn achtlos auf einen zuschießt.
Der Geschmack von Regen und Lonkero auf den Lippen.

Dunkelheit! Auf die gute Art und Weise.
In Helsinki hatte Dunkelheit immer etwas von Spannung, freudiger Erwartung und Aufgeregtheit. Sie war nie bedrückend. Nichtmal wenn die Stadt selbst es war.
Vielleicht ganz logisch wegen der Schneeberge, die das Licht der Laternen reflektierten. So war zwar der Himmel dunkel, die Stadt aber eher hell.
Oder es war einfach, weil Dunkelheit meist mit Spaß verknüpft war. Im Dunklen gingen wir auf Konzerte, in Bars oder stellten nur so Blödsinn an.

Ja wir...
Wir gegen den Rest von Finnland.
Was haben wir diesen Exoten-Status ausgenutzt.
Claire und ich passten einfach überhaupt nicht zusammen. Wir waren damals beide extrem unsicher, vom Leben gelangweilt und hatten keine Moral. Giftige Mischung! Ich bin noch immer so. Mit ihr habe ich lange nicht gesprochen.
Wären wir ein Liebespaar gewesen, hätten wir uns wahrscheinlich Aschenbecher hinterher geschmissen. Es war entweder extrem gut oder extrem schlecht.
Vielleicht gar nicht so dumm, dass ich irgendwann die Notbremse gezogen habe und wieder nach Deutschland gezogen bin.

Natürlich vermisse ich das Ganze. So sehr wie ich froh bin, dass ich es nicht mehr habe.
Logisch sollte ich Helsinki wahrscheinlich nie wieder als Lebensmittelpunkt in Betracht ziehen.
Emotional tue ich das sehr.
Es ist ein bisschen wie diese Kälte, die sich morgens um 4 am Busbahnhof in deine betrunkenen Knochen frisst. Total unangenehm und trotzdem sitzt man mit einem Grinsen da und fühlt sich großartig.
Meistens zumindest...

Donnerstag, 25. August 2011

Watte

Als ich einen kurzen Moment im Unterricht von meinem Arbeitsblatt aufsehe und mich zu meiner Klasse umdrehe, sehe ich nur eins – Watte!
Ich kann es wirklich nicht anders beschreiben – es ist WATTE!
Farblos, formlos, gehaltlos,… Sogar die, die sich für individuell halten.
Und wieder plagt mich mehr denn je die allgegenwärtige Frage: Sehe nur ich das?
Kein Wert, gar keiner.

Meine Lehrerin ist so eine verplante Öko-Trulla, die sich damit schmückt in irgendeinem Komitee für intereuropäische Praktika zu sitzen. Wie sie da am Overhead-Projektor steht, ist sie ein absolutes Klischee. Das – und ihr grausames Englisch – kotzt mich so sehr an, dass sich eine dicke Wolke Aggressionen in mir hoch schleicht.

„Bitte lesen Sie die Kästchen mit den Ausdrucksformen durch und lösen Sie die Aufgaben a bis c!“

Bitte stecken Sie sich Ihre Aufgaben auf Kindergarten-Niveau dahin, wo die Sonne nicht scheint, und lassen Sie mich mit ihrem Unterricht doch bitte in Ruhe, bis er nicht mehr so anspruchslos ist, dass er mein Sprachzentrum beleidigt!
Oder lernen Sie doch wenigstens wie man ein th ausspricht!

Das sind Menschen, wo mir das Wort „Fotze“ in den Kopf kommt.
Es ist ein unschönes Wort, was ich eher selten benutze, aber bei solchen Personen kann mein Hirn nicht anders.

Wenn man schon so durch ist, dass man nicht mal mehr merkt, dass sich selbst die Watte über einen totlacht.

Die Watte… Sie wogt vor sich hin.
Unberechenbarkeit wäre erfrischend. Ein kleiner Moment Chaos. Oder eine herausragend geistreiche, charmante, witzige oder interessante Bemerkung.
Nichts!
Watte!

Ich habe schon fast das Bedürfnis ihnen ins Gesicht zu spucken. Vielleicht käme dann mal eine brauchbare Reaktion.

„Ina, machen Sie doch bitte das Nächste.“

Die 5. Klasse ruft an und will ihre Aufgabe zurück.

Natürlich mache ich sie trotzdem brav und lächle noch.
Dieses System möglichst offensichtlich zu verhöhnen ist doch das mindeste, was ich der Menschheit schuldig bin.

Freitag, 26. November 2010

Hellsinki Night Fever

Kater! Ihre Augen brannten wegen zu vieler Zigaretten letzte Nacht und weil sie zusammengerechnet nicht mal eine halbe Stunde geschlafen hatte.
Sie saß in einem billigen Café mit Glasfront und beobachtete die Leute vorbeizogen. Es war nun kurz nach drei Uhr nachmittags. Schon über eine Stunde war sie nun im Stadtzentrum. Eigentlich hatte sie Lena dann hier treffen sollen, damit die beiden gemeinsam nach hause fahren konnten. Doch ihre beste Freundin hatte den Arsch nicht aus dem Bett bekommen, dann den Bus verpasst und ließ nun immer noch auf sich warten. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie noch in diesem Café sitzen würde.
Es war dumm gewesen sich letzte Nacht zu trennen. Und sie erinnerte sich noch daran, sich stark dagegen gesträubt zu haben. Ja, sie hatte es Lena ganz klar gesagt, dass sie das nicht wollte. Trotzdem hatte sie darauf bestanden mit diesem Typen mitzugehen. Also musste auch sie selbst sich eine neue Bleibe für die Nacht suchen, da sie ja eigentlich bei Lena hatte schlafen wollen.
Die Kälte hing ihr in den Knochen, wie die Erinnerung an die letzte Nacht. Sie konnten fühlen wie ihr Körper abbaute. Bei der kleinsten Anstrengung begann ihr Herz zu rasen und ihre Arme hörten nicht auf zu zittern. Alkohol, Schlafmangel, Kälte. Diese Dinge taten nur ihr Werk an ihr. Mit Mühe hielt sie sich auf dem hohen Stuhl an der Theke. Als sie an sich runter sah, bemerkte sie, dass der mittlere Knopf an ihrer Uniformjacke fehlte. Wahrscheinlich hatte sie ihn aber schon viel früher verloren.
Sie war ziemlich betrunken gewesen. Und doch hatte sie noch versucht zu organisieren, wie sie Lena am nächsten Tag rechtzeitig treffen könnte. „Wir stellen beide unseren Wecker auf 11 Uhr und ich ruf dich dann an!“, hatte sie zu ihr gesagt. Als sie angerufen hatte, war Lena aber natürlich nicht fertig gewesen und so hatte sich das alles bis zu diesem Augenblick hingezogen. Aber so war Lena und sie hätte es wissen sollen.
Sein charmant-herausforderndes Grinsen ging ihr nicht aus dem Kopf. Was wollte er eigentlich von ihr? Er hatte es gesagt, aber er tat etwas anderes. Nichts Ernstes! Aber warum hatte er dann gesagt, dass er sie sehr, sehr mochte und sie dann geküsst? Und dass sie nicht morgens gehen müsse, sondern den ganzen Tag bleiben konnte, wenn sie wollte? Das ganze war so verwirrend, dass sie sich selbst nicht einmal sicher war, was sie davon erwartete oder wollte. Denn er war ihr schon gefährlich. Vor ein paar Jahren hätte sie sich hundertprozentig in ihn verliebt. Heute war sie schlauer, aber schlau genug? Es war wie der Kampf zweier riesiger Egos. Man durfte sich voreinander ja keine Blöße geben. Wobei er das ganze fast alleine lenkte. Sie hielt sich nur über Wasser. Es musste tierisch nach Arbeit aussehen, aber es machte unheimlichen Spaß. Obwohl das ständige heiß und kalt Spiel schon Nerven kostete. Es würde mal böse enden, das wusste sie. Die Frage war nur, wer am Ende der Dumme sein würde.
Realität: Noch immer zu kalt, noch immer zu laut, noch immer zu grell. Die Situation nervte nicht nur, sie begann sie zu deprimieren. Sie musste aussehen wie ein Drogenopfer. Dreck unter ihren sonst immer sauberen Fingernägeln. Gerade sie, die sonst so eitel war, saß nun wartend in der Gegend herum, ungeduscht und ungeschminkt, die Haare zu einem unordentlichen Zopf zusammengebunden. Kalter Schweiß auf ihrer Haut. Sie musste abartig riechen. Zum Glück verbarg ihr langer Mantel das.
Irgendwann würde sie sauer auf Lena sein, das wusste sie einfach. Sie hatte ja auch jeden Grund. Doch in diesem Augenblick war sie zu fertig, um sich noch aufzuregen. Auch wenn Lena kam und sich entschuldigen würde, würde sie sagen, dass es okay war. Nur um den Konflikt zu vermeiden.
Verbraucht! Das war es! Körperlich und geistig. Die letzte Nacht hatte einfach alles von ihr abverlangt. Sie gestand nicht gerne Schwäche ein, in welcher Hinsicht auch immer. Trotzdem war es schwierig gewesen sich ohne Schlaf um 6 Uhr morgens noch charmante, witzige Kommentare einfallen zu lassen.
Wie hatte sie nur in diese Situation geraten können?

Dienstag, 16. November 2010

Liebe...und andere Krankheiten

Ich hatte heute bei der Arbeit einen interessanten Gedanken.
Man sagt immer so "Ach, wenn man verliebt ist, dann machst/fühlst/denkst/empfindest du das so.". Es scheint ein Muster zu geben, in das man fällt, wenn man verliebt ist. Zeitschriften, Fernsehsendungen und sogar Musik schreiben uns quasi vor, was in uns vorgehen soll und wie wir uns zu verhalten haben, wenn Amor uns mal so richtig seinen Pfeil durch den Körper gejagt hat.
Nun bin ich bei weitem nicht die einzige, die bei vielen Dingen und Einzelheiten wiedersprechen würde. So vergisst sicher nicht jeder die Fehler seines Partners oder läuft mit einer rosaroten Brille voll Naivität durch die Gegend.
Wenn dem allerdings nicht so ist, ist man dann trotzdem verliebt?
Möglich wäre es, dass jeder seine ganz eigene Art zu lieben hat. Oder dass manche Menschen mehr lieben als andere. Nicht nur in bestimmten Situationen oder Konstellationen, sondern generell. Und manche Menschen sind vielleicht gar nicht in der Lage zu lieben oder eben diesen Zustand von Verliebtheit zu erreichen. Ob das nun gut oder schlecht ist sei dahingestellt.
Und wenn das wahr ist, geht das ganze gesellschaftliche Konzept von Beziehung, in dem man liebt und im besten Falle im gleichen Maße geliebt wird, völlig unter.
So sagte Nietzsche nicht umsonst schon " Die Forderung, geliebt zu werden, ist die größte der Anmaßungen." Nicht nur, wegen der Eitelkeit, sondern auch, weil wir von einem Menschen vielleicht Unmögliches verlangen.
Wir haben akzeptiert, dass Menschen verschiedene Denkweisen haben, ebenso verschiedene Handlungsweisen. Warum also nicht verschiedene Liebesweisen? Und damit meine ich nicht verschiedene Arten Liebe auszudrücken, sondern das Gefühl der Liebe an sich, das ja eh schon viel zu vielfältig ist, als dass wir es jemals verstehen könnten.
Dieser Denkansatz wirft natürlich auch die Frage auf: Wodurch definiert sich Liebe dann noch?
Und an dieser Stelle schränkt unsere Sprache und vor allem Sprachstruktur enorm unser Verständnis ein. Wir kennen nur die Defnition Liebe für diverese (austauschbare) Ansammlung von Gefühlen. Wenn wir uns Liebe aber ansehen, können wir sie eigentlich gar nicht greifen. Sie verändert sich von Mensch zu Mensch und Zeit zu Zeit so sehr und ist so enorm vielseitig, dass es mit ihrer Definition fast ist, wie einen Slimey in der Hand zu behalten. Wenn man denkt, man hat ihn im Griff, gleitet er einem durch die Finger.
Um das abzukürzen, dies ist im Grunde nur ein weiterer Beweis der Nutzlosigkeit und des Schadens von Sprache. Dinge zu benennen ist Zeitverschwendung und der größte Feind der Welt unserer Wahrnehmungen.

Museumsmenschen

Ich war heute mit meiner Mutter und meiner Tante im Museum, im Haus der Geschichte, um genauer zu sein. Die Ausstellung hieß "wir gegen uns" und hatte als Thema Ost- und Westdeutschland im sportgeschichtlichen Vergleich.
Mir war klar, dass das sooo aufregend nicht werden würde, ich ging aber trotzdem mit.
Da es mir heute aber an Enthusiasmus allgemein und auch an Konzentration mangelte, wurde dieser Museumsbesuch zu einer Menschenstudie.
Nicht zum ersten Mal, aber besonders heute, fiel mir auf, dass Menschen in Museen zu einer ganz anderen Spezies zu werden scheinen, den Museumsmenschen.
Sie sind anders gekleidet. Und man kann deutlich sehen, wer sich extra fürs Museum umgezogen, sich regelrecht schick gemacht hat. Das Museum ist ein Ort für Intellektuelle, für Menschen, die eigentlich schon wissen, was da alles erzählt wird. Also ziehe ich mich an wie sie, um ja meine Dummheit nicht preisgeben zu müssen. Blödsinn natürlich, denn man erkennt die Leihen sofort an schlecht sitzenden Volant-Tops, an ihren billigen Schuhen und an dem Aroma von Eifer, möglichst belesen und klug zu wirken. Letzteres strömt ihnen quasi aus den Poren. Es fehlt ihnen an Gelassenheit, an Ruhe und vor allem an tatsächlichem Interesse. Wirkliche Intellektuelle - und ich will diesen Begriff mal ganz wertungsfrei lassen - findet man in Museen nur selten, seltener sogar noch als im Alltag.
Und dann beginnt die Show. Langsam, aber fokussiert wird fast wie im Takt zu einem Lied, das nicht gespielt wird, die Brille ab- und aufgesetzt und sich nachdenklich am Kinn gekratzt. Jedesmal wenn ihnen ein Ausdruck von Überraschtheit oder gar Neugier übers Gesicht huscht, kann man Sekunden später in ihren Augen erkennen, dass sie sich tierisch dafür schämen und hoffen, dass es keiner gesehen hat.
Bewegungen werden langsam und bedacht ausgeführt, man hat Respekt vor dem Ort und der Geschichte. Selbst die einfachen Kopfhörer, auf denen man langweilige Geschichten von Zeitzeugen hört, die man aber später als faszinierend bezeichnen wird, werden mit einer Behutsamkeit angefasst, als seien sie der Busen einer schönen Frau. Das ganze Museum scheint einen Minenfeld zu sein, das aus lauter Fettnäpfchen besteht.
Man kann beobachten wie Erleichterung in ihren Gesichtern aufhellt, wenn sie es geschafft haben, heile aus der Angelegenheit rauszukommen.
Anschließend befinden wir uns im Museumscafé, wo diese Menschen oft zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben einen Cappuccino für 6,50 Euro kaufen und sich nicht etwa über den völlig überzogenen Preis aufregen, sondern sich in ihrer Dekadenz sonnen. Warum soll man nicht zeigen, wenn es einem gut geht? Dann wird über die Ausstellung diskutiert. Man habe ja schon so viel über das Thema gelesen, es sei aber trotzdem beeindruckend wie das Museum es geschafft habe, es so anschaulich zu gestalten.
Sie werden das Gebäude verlassen mit dem Gefühl nun sehr klug und gebildet zu sein, womöglich mit dem festen Vorhaben, in Zukunft nur noch die öffentlich-rechtlichen Sender zu schauen und das Abo für die Bild-Zeitung zu kündingen. Selbstverständlich nur, um zuhause das erste Mal in Groß- und Kleinschreibung ihr heutiges Erlebnis zu twittern.