Freitag, 26. November 2010

Hellsinki Night Fever

Kater! Ihre Augen brannten wegen zu vieler Zigaretten letzte Nacht und weil sie zusammengerechnet nicht mal eine halbe Stunde geschlafen hatte.
Sie saß in einem billigen Café mit Glasfront und beobachtete die Leute vorbeizogen. Es war nun kurz nach drei Uhr nachmittags. Schon über eine Stunde war sie nun im Stadtzentrum. Eigentlich hatte sie Lena dann hier treffen sollen, damit die beiden gemeinsam nach hause fahren konnten. Doch ihre beste Freundin hatte den Arsch nicht aus dem Bett bekommen, dann den Bus verpasst und ließ nun immer noch auf sich warten. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie noch in diesem Café sitzen würde.
Es war dumm gewesen sich letzte Nacht zu trennen. Und sie erinnerte sich noch daran, sich stark dagegen gesträubt zu haben. Ja, sie hatte es Lena ganz klar gesagt, dass sie das nicht wollte. Trotzdem hatte sie darauf bestanden mit diesem Typen mitzugehen. Also musste auch sie selbst sich eine neue Bleibe für die Nacht suchen, da sie ja eigentlich bei Lena hatte schlafen wollen.
Die Kälte hing ihr in den Knochen, wie die Erinnerung an die letzte Nacht. Sie konnten fühlen wie ihr Körper abbaute. Bei der kleinsten Anstrengung begann ihr Herz zu rasen und ihre Arme hörten nicht auf zu zittern. Alkohol, Schlafmangel, Kälte. Diese Dinge taten nur ihr Werk an ihr. Mit Mühe hielt sie sich auf dem hohen Stuhl an der Theke. Als sie an sich runter sah, bemerkte sie, dass der mittlere Knopf an ihrer Uniformjacke fehlte. Wahrscheinlich hatte sie ihn aber schon viel früher verloren.
Sie war ziemlich betrunken gewesen. Und doch hatte sie noch versucht zu organisieren, wie sie Lena am nächsten Tag rechtzeitig treffen könnte. „Wir stellen beide unseren Wecker auf 11 Uhr und ich ruf dich dann an!“, hatte sie zu ihr gesagt. Als sie angerufen hatte, war Lena aber natürlich nicht fertig gewesen und so hatte sich das alles bis zu diesem Augenblick hingezogen. Aber so war Lena und sie hätte es wissen sollen.
Sein charmant-herausforderndes Grinsen ging ihr nicht aus dem Kopf. Was wollte er eigentlich von ihr? Er hatte es gesagt, aber er tat etwas anderes. Nichts Ernstes! Aber warum hatte er dann gesagt, dass er sie sehr, sehr mochte und sie dann geküsst? Und dass sie nicht morgens gehen müsse, sondern den ganzen Tag bleiben konnte, wenn sie wollte? Das ganze war so verwirrend, dass sie sich selbst nicht einmal sicher war, was sie davon erwartete oder wollte. Denn er war ihr schon gefährlich. Vor ein paar Jahren hätte sie sich hundertprozentig in ihn verliebt. Heute war sie schlauer, aber schlau genug? Es war wie der Kampf zweier riesiger Egos. Man durfte sich voreinander ja keine Blöße geben. Wobei er das ganze fast alleine lenkte. Sie hielt sich nur über Wasser. Es musste tierisch nach Arbeit aussehen, aber es machte unheimlichen Spaß. Obwohl das ständige heiß und kalt Spiel schon Nerven kostete. Es würde mal böse enden, das wusste sie. Die Frage war nur, wer am Ende der Dumme sein würde.
Realität: Noch immer zu kalt, noch immer zu laut, noch immer zu grell. Die Situation nervte nicht nur, sie begann sie zu deprimieren. Sie musste aussehen wie ein Drogenopfer. Dreck unter ihren sonst immer sauberen Fingernägeln. Gerade sie, die sonst so eitel war, saß nun wartend in der Gegend herum, ungeduscht und ungeschminkt, die Haare zu einem unordentlichen Zopf zusammengebunden. Kalter Schweiß auf ihrer Haut. Sie musste abartig riechen. Zum Glück verbarg ihr langer Mantel das.
Irgendwann würde sie sauer auf Lena sein, das wusste sie einfach. Sie hatte ja auch jeden Grund. Doch in diesem Augenblick war sie zu fertig, um sich noch aufzuregen. Auch wenn Lena kam und sich entschuldigen würde, würde sie sagen, dass es okay war. Nur um den Konflikt zu vermeiden.
Verbraucht! Das war es! Körperlich und geistig. Die letzte Nacht hatte einfach alles von ihr abverlangt. Sie gestand nicht gerne Schwäche ein, in welcher Hinsicht auch immer. Trotzdem war es schwierig gewesen sich ohne Schlaf um 6 Uhr morgens noch charmante, witzige Kommentare einfallen zu lassen.
Wie hatte sie nur in diese Situation geraten können?

Dienstag, 16. November 2010

Liebe...und andere Krankheiten

Ich hatte heute bei der Arbeit einen interessanten Gedanken.
Man sagt immer so "Ach, wenn man verliebt ist, dann machst/fühlst/denkst/empfindest du das so.". Es scheint ein Muster zu geben, in das man fällt, wenn man verliebt ist. Zeitschriften, Fernsehsendungen und sogar Musik schreiben uns quasi vor, was in uns vorgehen soll und wie wir uns zu verhalten haben, wenn Amor uns mal so richtig seinen Pfeil durch den Körper gejagt hat.
Nun bin ich bei weitem nicht die einzige, die bei vielen Dingen und Einzelheiten wiedersprechen würde. So vergisst sicher nicht jeder die Fehler seines Partners oder läuft mit einer rosaroten Brille voll Naivität durch die Gegend.
Wenn dem allerdings nicht so ist, ist man dann trotzdem verliebt?
Möglich wäre es, dass jeder seine ganz eigene Art zu lieben hat. Oder dass manche Menschen mehr lieben als andere. Nicht nur in bestimmten Situationen oder Konstellationen, sondern generell. Und manche Menschen sind vielleicht gar nicht in der Lage zu lieben oder eben diesen Zustand von Verliebtheit zu erreichen. Ob das nun gut oder schlecht ist sei dahingestellt.
Und wenn das wahr ist, geht das ganze gesellschaftliche Konzept von Beziehung, in dem man liebt und im besten Falle im gleichen Maße geliebt wird, völlig unter.
So sagte Nietzsche nicht umsonst schon " Die Forderung, geliebt zu werden, ist die größte der Anmaßungen." Nicht nur, wegen der Eitelkeit, sondern auch, weil wir von einem Menschen vielleicht Unmögliches verlangen.
Wir haben akzeptiert, dass Menschen verschiedene Denkweisen haben, ebenso verschiedene Handlungsweisen. Warum also nicht verschiedene Liebesweisen? Und damit meine ich nicht verschiedene Arten Liebe auszudrücken, sondern das Gefühl der Liebe an sich, das ja eh schon viel zu vielfältig ist, als dass wir es jemals verstehen könnten.
Dieser Denkansatz wirft natürlich auch die Frage auf: Wodurch definiert sich Liebe dann noch?
Und an dieser Stelle schränkt unsere Sprache und vor allem Sprachstruktur enorm unser Verständnis ein. Wir kennen nur die Defnition Liebe für diverese (austauschbare) Ansammlung von Gefühlen. Wenn wir uns Liebe aber ansehen, können wir sie eigentlich gar nicht greifen. Sie verändert sich von Mensch zu Mensch und Zeit zu Zeit so sehr und ist so enorm vielseitig, dass es mit ihrer Definition fast ist, wie einen Slimey in der Hand zu behalten. Wenn man denkt, man hat ihn im Griff, gleitet er einem durch die Finger.
Um das abzukürzen, dies ist im Grunde nur ein weiterer Beweis der Nutzlosigkeit und des Schadens von Sprache. Dinge zu benennen ist Zeitverschwendung und der größte Feind der Welt unserer Wahrnehmungen.

Museumsmenschen

Ich war heute mit meiner Mutter und meiner Tante im Museum, im Haus der Geschichte, um genauer zu sein. Die Ausstellung hieß "wir gegen uns" und hatte als Thema Ost- und Westdeutschland im sportgeschichtlichen Vergleich.
Mir war klar, dass das sooo aufregend nicht werden würde, ich ging aber trotzdem mit.
Da es mir heute aber an Enthusiasmus allgemein und auch an Konzentration mangelte, wurde dieser Museumsbesuch zu einer Menschenstudie.
Nicht zum ersten Mal, aber besonders heute, fiel mir auf, dass Menschen in Museen zu einer ganz anderen Spezies zu werden scheinen, den Museumsmenschen.
Sie sind anders gekleidet. Und man kann deutlich sehen, wer sich extra fürs Museum umgezogen, sich regelrecht schick gemacht hat. Das Museum ist ein Ort für Intellektuelle, für Menschen, die eigentlich schon wissen, was da alles erzählt wird. Also ziehe ich mich an wie sie, um ja meine Dummheit nicht preisgeben zu müssen. Blödsinn natürlich, denn man erkennt die Leihen sofort an schlecht sitzenden Volant-Tops, an ihren billigen Schuhen und an dem Aroma von Eifer, möglichst belesen und klug zu wirken. Letzteres strömt ihnen quasi aus den Poren. Es fehlt ihnen an Gelassenheit, an Ruhe und vor allem an tatsächlichem Interesse. Wirkliche Intellektuelle - und ich will diesen Begriff mal ganz wertungsfrei lassen - findet man in Museen nur selten, seltener sogar noch als im Alltag.
Und dann beginnt die Show. Langsam, aber fokussiert wird fast wie im Takt zu einem Lied, das nicht gespielt wird, die Brille ab- und aufgesetzt und sich nachdenklich am Kinn gekratzt. Jedesmal wenn ihnen ein Ausdruck von Überraschtheit oder gar Neugier übers Gesicht huscht, kann man Sekunden später in ihren Augen erkennen, dass sie sich tierisch dafür schämen und hoffen, dass es keiner gesehen hat.
Bewegungen werden langsam und bedacht ausgeführt, man hat Respekt vor dem Ort und der Geschichte. Selbst die einfachen Kopfhörer, auf denen man langweilige Geschichten von Zeitzeugen hört, die man aber später als faszinierend bezeichnen wird, werden mit einer Behutsamkeit angefasst, als seien sie der Busen einer schönen Frau. Das ganze Museum scheint einen Minenfeld zu sein, das aus lauter Fettnäpfchen besteht.
Man kann beobachten wie Erleichterung in ihren Gesichtern aufhellt, wenn sie es geschafft haben, heile aus der Angelegenheit rauszukommen.
Anschließend befinden wir uns im Museumscafé, wo diese Menschen oft zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben einen Cappuccino für 6,50 Euro kaufen und sich nicht etwa über den völlig überzogenen Preis aufregen, sondern sich in ihrer Dekadenz sonnen. Warum soll man nicht zeigen, wenn es einem gut geht? Dann wird über die Ausstellung diskutiert. Man habe ja schon so viel über das Thema gelesen, es sei aber trotzdem beeindruckend wie das Museum es geschafft habe, es so anschaulich zu gestalten.
Sie werden das Gebäude verlassen mit dem Gefühl nun sehr klug und gebildet zu sein, womöglich mit dem festen Vorhaben, in Zukunft nur noch die öffentlich-rechtlichen Sender zu schauen und das Abo für die Bild-Zeitung zu kündingen. Selbstverständlich nur, um zuhause das erste Mal in Groß- und Kleinschreibung ihr heutiges Erlebnis zu twittern.